~ Sigruns Hall ~Freundlich waren die Gesichtszüge des Fauns, als sei es ihrer Art geschuldet, und doch zeigte das seine darüber hinaus eine offensichtliche Freude über den Neuankömmling. Helle, kräftige Brauntöne zogen sich durch dessen Fell, doch konnte man darüber hinaus kaum eine Aussage über sein Alter treffen. Ein leichter Wind ließ die dunklen Federn an den Widderhörnern tanzen, während auch die meisten Geister sich unter dem lauten Aufschrei aller Raben erhoben und fortschritten in die Wälder, der bleiche Wanderer fort von Kjerand, die zierlich Baumgestalt mit grünlich Haut und schwarzen Perlenaugen wie dem seinen ihm entgegen, doch letztlich fort. Einzig das Hirschkopfwesen verweilte und schaute Kjerand lang noch hinterher.
Wortlos zunächst kam der Faun dem Seher, auf seinen Stab gestützt und einen lahmen Huf hinter sich her ziehend, einige Schritte entgegen und grüßte ihn dann mit heisrer Stimme in albischem Worte, merkte jedoch schnell, dass dieser der alten Zunge nicht mächtig war. Die Hand mit der Flöte über die eigene Brust gelegt sprach er schließlich
„Thana-eel“ und führte sie dann zu Kjerands. Bald schon gingen sie schließlich zum Tore und den zwei Mannen davor. Aus dunkelbraunem Pelz war ihnen der Mantel, leichte Lanzen trugen sie, ein langes Horn am Gurte, braune Malereien im Gesicht und die Geweihe junger Hirsche zierten deren Haupthaar, dass ihnen lang und dunkel fiel, und groß waren ihnen die Augen, als sie des Sehers drittes sah'n.
„Lange riefen schon die Raben..“ -
„Allvaters Kind!“ –
„Verzeiht!“, so neigten sie die Häupter,
„Unsere Herrin ist mit den Jägern fort, und auch für die Festlichkeiten heut' Abend sind wir noch nicht bereit, doch wird die Älteste euch gern empfangen und ist es uns eine Ehre Euch zu Gast zu sehn!“. So öffneten sie die Pforte und ließen die beiden hinein.
Das Innere der Halle war reich an Schnitzereien, Wärme und an Düften gebrannter Nüsse und Pilze. Sie war von mehreren Feuern hell erleuchtet, von mächtigen Säulen getragen und mancherorts von dickem Wurzelwerk des alten Stammes durchzogen, welches die Haupthalle von kleineren Räumlichkeiten abschirmte. Ins Herz des toten Baumstammes aber war ein Thron geschnitzt, auf dem niemand saß. Überall hingen Kräuter von den Balken herab, überall sah man noch Beutetiere oder Jagdtrophäen, und auch Jagdwaffen an den Wänden; Köpfe von großen Bären, Rindern, Keilern und Wölfen, aber auch zahllose Kleintiere wie Füchse und Hasen, auf die der rote Stamm keine Jagd machte.
Zu beiden Seiten standen und saßen Menschen, die einen leichten Gelbton in ihrer Haut hatten, sodass deren Gesichter einen Hauch wärmer erschienen, als die der Menschen vom roten Stamme. Die meisten waren wohl mit den Vorbereitungen für die Samhainnacht beschäftigt, viele bereiteten Speisen, schmückten einander mit brauner Farbe, flochten Haar und zierten die Halle, einige wuschen einen großen Kessel voll Bilder und Symbolen, andere waren an Harfen zugange. Bald schon waren sie alle verstummt und hatten sich die ersten erhoben, um den eingetroffenen Hexer besser sehen zu können. Niemand von ihnen trug Hörner am Gurte oder Hirschgeweihe im Haar und die Menschen des Stammes waren auch bei weitem nicht so zahlreich wie jene von den weißen Feldern. Wortlos wies der Faun Kjerand, geradeaus zu gehen, bevor er selbst ihm von der Seite wich.
Alt kam schließlich eine Frau, von anderen Älteren begleitet, am Fuß des Thrones zu ihm heran und durchblickt ihn mit erblasstem Aug. Eine Weile schaute sie zu ihm herauf und erwartete, was er zu sagen hatte, bevor sie selbst dann ihre Hand an seine Wange hob und zu ihm sprach: „Kjerand, Rabenaug'!“, Stille. Die Worte klangen anders, die Sprache gewandelt. Sanfter, als Kjerand es vom roten Stamm gewohnt war, als wollten die Menschen hier es den Alben gleich machen. „Die Raben haben von dir gesungen! Noch nie, nie warn so viele hier gesehn!“. Voll Gutmut und Glück war ihr Gesicht, als sie mit ihren Händen die seinen nahm. - „Sigrun aber ist fort,“, sprach sie, als sei dies jedoch etwas Trauriges, „fort mit den Söhnen und Töchtern der Wälder. Doch noch eh' die Sonn' sich neigt, eh' die Geister schlafen, werden sie wieder in unserer Mitte sein!“. Mit einem Händedruck bekräftigte sie ihr Versprechen.
„Komm, komm Kjerand! Rast'! Leg die schweren Taschen ab und speis' mit uns!“. So führte sie ihn zwischen den Wurzeln zu einer kleinen, dunklen Schlafstätte an der Außenwand, über deren Durchgang eine Decke hing und die ihm Felle zum Ruhen und eine Ecke für sein Habe bot.
Bald saßen zum Speisen in der Hall schon einige um ihn herum und wollten mehr erfahren von seinem Wege, dem Allvater und ihrem Gast, ihm aber gleichwohl auch von ihrem Leben hier erzählen.
„Sag“, hatt' ein Kind ihn dort gefragt,
„sag kannst du wirklich deine Zunge an einem Orte lassen, sodass sie dort zu andern spricht?“ und schaut' mit großen Augen zu ihm auf.
Elayla vernahm mit Dank die Grüße ihrer Schwester und ließ sich, in Anwesenheit ihres Gefährten, vom Seher erzählen, wie's dieser im roten Stamm erging und sprach auch, was von ihr zu sagen sei.
Thanael, so lernte Kjerand, sprach nur der Alben Zunge, kam jedoch schon seit vielen Jahren zu großen Festen zu der Hall, um mit ihnen die heiligen Lieder zu singen. So auch zu Samhain nun, da an diesem Abend die Naturgeister der Wälder sich gleichwohl der großen Allmutter zur Ruhe begaben, um den langen Winter über zu schlafen. Gäste wurden hierzu stets erwartet, drei Zwerge hatten im letzten Jahre ihre Lieder gesungen, Nomadenvolk hielt inne, ein großer Jarl dereinst und einmal waren auch Alben in großem Zuge durch die Walde geschritten und hatten ihren Segen auf die Hall und ihre Bewohner gelegt.
Solche, die Hirschgeweihe im Haar trugen und aus langen Hörnern tranken, gleich jenen, die vor der Pforte wachten, waren die Jäger des Stammes und trugen diesen Schmuck
„Zu Nimlehaws Ehren!“ wie ein Kind auf die Frage eines Älteren herausrief, worauf auch die übrigen ihre Becher hoben und in lautem Einklang
„Zu Nimlehaws Ehren!“ riefen. Denn mächtig wuchs dem ehrwürdigen Druiden einst selbst ein großes Geweih aus dem Haupt heraus und zahlreich sind die Geschichten über ihn, da er ihren Stamm einst durch die Wälder führte. So wahrten sie sein Andenken und auch über ihrem Tore las Kjerand diese Worte in den Zeichen alter Runen. Sigrun aber war nun fort mit ihren Jägern, ausgezogen zwei verschwundene Söhne der Wälder aufzufinden. Geschäfte aber seien mit ihr auszuhandeln.
Als er später schließlich draußen saß, ließen Wind und Donnergrollen zum Abend bereits nach. Ruhe umgab ihn dort, wo er sich niederließ, bis ein Rabe zu ihm kam, ein weiterer und immer mehr, als würden alle von der Hall sich um ihn versammeln. So standen sie dort und ihr Blick fiel tief, als starre die Allnacht durch sie hindurch auf ihn herab, als zöge sie ihn hinein, als laure
etwas tief darin, dahinter. Da schrie einer von ihnen ihm entgegen. Abermals, ein anderer! Und immer mehr! Die ersten flogen bereits ein Stück um ihn herum, schwarze Schemen vor seinem Gesicht, die seinen Blick in eine andere Richtung lenkten. Dort stand die Traumgestalt vom hohen Fels, die Tochter, die zum Sterne wies, und schlug die Augen auf und sah etwas aus einer weiten Ferne..
~ Traumwelt ~.. und sah ein Menschenkind auf den Wurzeln eines alten, dunkelhölzigen Laubbaumes sitzend, zwischen welchen sich eine große Höhle auftat. Der Hufen Fährte aber endete an einem großen Hirsche, nicht so gewaltig wie die die Wesen der Steppe, die sich ob ihres Geweihes nicht in die Wälder wagten, doch so mächtig, wie er als Waldbewohner nur sein konnte. Sie beide waren dort unter dem Baume, während in großem Kreis um sie herum die Tiere weilten, gleichwohl Raubtiere wie deren Beute, und friedlich zu ihrer Mitte hin sahen. Leise summte das Kind, sah zum Hirsche auf und dieser zu ihr herab. Doch nichts davon schien so beeindruckend, wie das kalte Sternenlicht, das unter dem Baum im Wurzelwerk ruhte und aus der großen Öffnung herausstrahlte.
Bald schon saß sie nun weinend da und begrub ihr Gesicht in ihren Händen, verdeckt von ihrem langen, braunem Haar, während das stolze Geschöpf sein Haupt zu dem Mädchen hin neigte und seine Nase zögerlich an ihre Stirne stupste. Doch es half nichts, so legte er seine Stirn über die ihre, worauf das Kind ihn lauter schluchzend umarmte. Eine Weile blieben sie so, bis er sich ihr langsam entzog und, das Haupt geneigt, achtsam zur Höhle schritt und verschwand in das grelle Licht, das darauf heller erstrahlte, und das weinend Kind zurückließ. Langsam wuchsen die Wurzeln und verdorrten und knarzten laut, langsam verwesten die Tiere um sie herum und leise erzitterten der Baum und unter ihm die Erde, da öffnete sich das Gehölz inmitten des Stammes und darin ein Auge, erfüllt vom Sternenglanz, fand Izar im Wald. In Aufruhr, doch aus einer großen Ferne hörte sie die Raben. Stärker ward das Beben mit dem Lärm, da blickte auch das Mädchen zu Izar auf, doch war es nicht das von Tränen gezeichnete Gesicht eines Kindes. Stattdessen fand Izar sich von des Adlers wilden Augen erfasst, als das braun gefiederte Geschöpf sich von der Wurzel fortstieß und ihr entgegenflog, an ihrem Gesicht vorbeizog und einer Frauen Stimme flüsternd, doch eindringlich „Lauf!“ an ihrem Ohre hinterließ. Verschwunden war das Kind, berstend der Baum und die Welt zerfiel um ihn herum, begleitet von schrillem Klange, der alles zu erschüttern vermochte. „Lauf!“, konnte Izar erneut vernehmen, während sie bereits aufgeschreckt durch den Wald zurückrannte und der Greifvogel tief mit ihr durch die Walde flog. „Lauf!“, und dunkel ward die Sonne, die Welt und kalt, als ein Riss durch Himmel und Lande zog. Flüsternd und schwach, in verzweifelter Trauer erklang die Stimme ein letztes mal und drang durch die Welt, als lang grollender Donner dem Lichte folgte und der Traum entschwand.
~ Am Ufer ~Das helle Aug war das erste, das wieder erwachen und ihrem kaltblassen Gesicht wieder etwas Farbe geben sollte. Nass lag noch etwas von ihrem Haar über dem Gesicht, doch spürte sie nichts von ihrem Körper und hätte den Arm nicht heben können, um es fortzustreifen. Regungslos starrte sie scheinbar ins Leere, sah jedoch aus dem Augenwinkel das Gesicht des Traumbringers, der noch immer bei ihr saß und selbst die Augen geschlossen, doch mit Anspannung in seinen Gesichtszügen, das Haupt geneigt hatte. Ein leiser Wind blies über ihr Gesicht, doch konnte sie auch den nicht spüren, sondern sah ihn nur in aufgewirbelten Schneeflocken. Körperlos und, noch vom Schlaf benommen, auch Gedankenlos nahm sie Eindrücke um sich herum wahr, ohne zu wissen, wer sie war, noch welche Welt es um sie herum gab. Frei jeder Identität waren nicht ihre Erinnerungen, noch ihre Sinne bislang zurückgekehrt und taten dies nur langsam. Stille. Dann, leis, der Wind, den sie zuvor erst sah. Darin ein vages Flüstern, lang und dünn, als sei es weit gereist, dunkel und fern. Ein Wort:
„Iishhh-“ – Doch war es nicht des Traumbringers Mund, der es sprach. Ein Name:
„-zaahr“ – Und dann krähten die Raben.
Lauter, von drüben, hinter dem Hügel, auf dem nun eine Frau stand, blass wie der Mond und in einem Kleid aus der dunklen Vögel Federn. Dunkel fiel ihr dichtes Haar, das kaum bis zum Kinn reichte, und trug ebenso Gefieder darin. Ein starker Wind war ihr gefolgt und zog an ihr vorbei, wirbelte Haar und Federkleid auf, als sie dort oben stehen blieb und zu Izar starrte. Auch Lippen, Punkte und Linien waren schwarz in ihrem Gesicht und deuteten fort von ihren drei Augen, deren weißer Apfel ebenso von tiefer Dunkelheit erfüllt war und deren Iris weiß darin lag. Lauter ward das Krähen und Izar vernahm, wie der Traumbringer sich erhob und zur Frau auf den Hügel blickte. Da kam das Zittern, das Beben aus dem Traum, als wär es nie gewichen, aus einer dunklen Ecke ihres Kopfes zusammen mit ihren Sinnen in die Welt und sie erfuhr, dass ihr ganzer Leib sich heftig schüttelte und dies schon tat, bevor ihr erstes Auge aufgeschlagen ward'.
Die ersten Raben kamen derweil hinter der Frau, dem Hügel, aus dem Wald hervor und landeten vor Izar. Laut stand der schnellste nah an ihrem Gesicht und schrie, voll Inbrunst, als wolle er sie wecken. Die übrigen versammelten sich um Izar und streiften ihr die Nässe ab und drückten ihre eigenen Leiber an den ihren und suchten ihn damit zu wärmen, sprangen fort wenn er zu stark zitterte, und gleich wieder hinzu.
Die Frau aber rannte vom Hügel und der schwarze Engel richtete sich auf, um sie in seine Arme zu schließen. Kurz nur währte der Moment und Izar sah noch, wie er sie mit sich nahm und hinfort flog, nach kurzem Anlauf erst flach und tief, und schließlich raus aus ihrem Blickfeld in die Ferne.
~ Im Walde ~Die Raben drängten Kjerand zu ihr hin, andere standen bereits dort und schrien ihr entgegen. Da wand sie, als hätte sie jemanden erblickt, ihren Kopf zur Seite und eilte bald schon, als sei sie von fremden Mächten gelenkt, wie ein stürmischer Windstoß davon. Die Raben sprangen auf ihr zu folgen und drängten auch Kjerand in den Wald hinein. Schneller, immer schneller musst' er sein, um sie nicht zu verlieren, und auch die Raben hasteten hinter dem Wind, der vor ihnen schon den Schnee aufwirbelte und Geäst zum Wanken bracht'. Schneller trieben sie ihn durch den Wald und nahmen ihm so oft die Sicht, dass er viele Schritte blind nehmen musste. Immer schneller jagten sie und bald war wohl kaum mehr Zeit, um Baum und Fels auszuweichen, und so sah Kjerand erst im Sprung, dass ein großer Kiefernstamm in seinem Wege stand.