‹Geboren auf den alten Schiffen aus den verlorenen Tiefen kannten wir um uns nur weites Meer, das immerzornig gegen die Flanken schlug, den kalten Wind, der unaufhörlich an unserer Haut zerrte, über uns nur finstere Wolkendecke, die immergrollend mit ihren Blitzen schlug. Doch fern der wankenden Welt erhob sich uns späten Kindern der Schiffsbauer der Horizont, ein grauer Baum aus den schwarzen Untiefen in die flackernden Unhöhen, sich räkelnd, langsam und gemächlich, weise und bedächtig, träumend und noch nicht erwacht. Hier war der alten Riesin ein Licht erstrahlt, ein Herz in roter Glut, das unsere Schiffe rief aus allen Meeren. Es wuchs nicht nur, da wir ihm näher kamen, brannte sich seinen Weg hinauf durch Stamm und Rinde, und entzündete die Krone. Laut schrie sie auf, als der Feuervogel sich erhob, brannte hernieder und ließ im großen Feuer Fels und Asche regnen über das hungrig Meer. Trost schenkten unserer Schiffe Bannsängerinnen dem sterbend Kind, als ihr Gesang es zurück in den Schlaf wiegte. Aus der niedergehenden Asche entstieg zögerlich das karge Land, in dessen Fels sich die Spiegel aus schwarzem Glas befanden. Als der graue Regen lag und der Bernsteinvogel durch den dunklen Schleier auf das Land blickte, wuchsen aus des Baumes Asche zahllos seine Kinder, tausendäugig und von dunkler Rinde, die Schwarzeiben, und blickten zurück.›
·Schwarze Federn kleideten den alten Wanderer, der den Vater bezwang. Gesehen ward er auf Rabenbein stolzierend, mit acht Augen über schwarzem Schnabel blickend, und mit Vogelkrallen an sechs Armen auflesend, als er aus der falschen Höhle schritt und alle blickend Vögel aufschraken. Nicht Rabe noch Weberin verschmähten ihn seine Väter, sodass wir Schwestern ihn lehrten. Doch wob er mit unserer Kunst das Schicksal des Vogelvaters, spielte auf der großen Harfe die Echos der sterbenden Baummutter und zwang ihn in den Schlaf. Hier zerriss er den Himmelsvogel, aus seinen Federn das Sternenkleid über die Geisterpfade zu weben. Das Phoenixei aber trug er durch Geisterpforten ins Land der Schlangen im großen Meer. So ward aus dem Geist ein Gott, und schwarze Vögel kamen vom schlafenden Wald herab, um von seinem Werk zu berichten, und brachten die Saat der alten Bäume hinab ins Schlangenland.·
"Endlos erstreckte sich der lauernde Wald, gebrochen nur von hohem Fels und schwarzen Tümpeln. Von den steinernen Anhöhen aus zürnten stolze Greifen, in den Wurzeln wachten geduldige Weberinnen, aus dem Geäst blickten wissbegierige Aschevögel, alte Raben, und immer, wenn die Tümpel ruhten, lauerten hungrige Najaden. Doch wenn die tausendäugig Bäume schliefen, wanderten durch den lauernd Wald wir Dryaden auf unserer Erinnerung entnommen alten Pfaden, welche unsere Mutter, die wir nie sahen, uns mit ihren Wurzeln dereinst zog."
"Seit dem Tag, an dem die lange Nacht began, brannte am Ende jedes unserer alten Pfade ein kaltes Feuer in den finstren Tümpeln, am Anfang aller Pfade aber der große Sternenriss, an dem die Mutter stand. So trugen auch wir auf unseren Wanderungen unser Licht zum Gestirn. Hier aber fanden wir im Wasser das tote Land, tief unter dem endlosen Wald, und in den Sternen die Pforten dorthin. Und dort sahen wir, dass ihre Wurzeln einst nicht im alten Wald endeten, sondern von deren Gipfeln und hohen Hügeln aus auch die zweite Welt durchzogen."
‹Bebend erbrannte das starre Land, als das Ei barst und die gläserne Erde sich zu Fluten ergoss. Die schlafenden Schlangen, einst Najaden geboren, krochen abermals durch den Schlamm, einander und Meereswesen zu verschlingen. Auch erwachte die schlafende Saat und überzog das Land mit Pflanzenwuchs, welcher Nahrung bot für Vögel des Himmels und den gehörnten Herden, die einst von unseren Schiffen den Najaden geopfert im Land der Schlangen überdauerten. All dies gedeihte unter den Schwingen des Bernsteinvogels, der abermals die Nacht entzündete und mit seinem Flug den Tag bringen sollte. Doch weckte des Vogels Schrei auch den Traumwald zwischen den Sternen, der hungrig blickte auf die Welt darunter. So stürzten die Greifen vom Himmelswald herab, ihn nie wieder zu betreten. Auch unsere Schiffe sanken auf die Welt hernieder, sie zu bevölkern mit unserart. Einzig das Schiff der Jägerin, dem sich stets alle Meere beugten, verblieb die Walde zu bereisen Tag und Nacht.›
·Drei Städte auf ihren Reisen spenden Licht dem endlosen Schlund. Die älteste ist das Schiff der Jägerin, dem sich alle Meere beugen. Die zweite ist das hohe Licht, zu dem alle Geisterpfade führen, an dem die träumende Königin ruht. Die dritte bereist auf dem Rücken des Bernsteinvogels die Welt, so nah an seinem Feuerkleid umhüllt von gerötetem Licht. Und von beiden Seiten der trügerischen Wellen leuchten sie herab in die Tiefenwelt. Hierhin ziehen junge Miragen aus den Spiegeln, um dort in den Herzen Fremder zu erwachsen und mit ihnen in den Wald zurückzukehren. Hierhin stürzen Phantasmen aus dem Geäst, um die Geister Träumender in den Wald zu entführen und ihre Herkunft vergessen zu machen. Und hier wandern die Miasmen, ihren Schwermut über die dort Lebenden zu legen, und das Ende ihrer Pfade zu erkunden.·
Auf ihrer Pilgerschaft zu einer heiligen Stätte, um dort ihre Bestimmung zu finden, trifft die Rabenhexe Izar von den Centauren auf Eru, eine Ljosalfar, die auszog Exilanten ihres Stammes heimzuholen, ehe sie selbst heimkehrt und dort mit dem Schutzgeist ihres Stammes vermählt wird.
Im Zwielicht der hohen Sommers Sonne standen die Erben Gwynns am alten Felsenring und blickten zum Ältesten der ihren, der dort den alten Bund des Stammes mit seiner Ahnherrin erneuerte und einen Alb mit ihrem Geiste traute. Erneuert ward eine alte Hochzeit, ein Gatte abermals erwählt den Stamm mit seiner Besonnenheit in die kommende Zeit zu führen. Güte und Weitblick zeichneten des Geistes Antlitz, Ernst und Gewissheit ob seiner großen Verantwortung jenes des Alben. Und so gingen alle übrigen nun auf die Knie, um vor dem abermals berufenen Stammesherrn das Haupt zu neigen, da sprach des Geistes weise Stimme und benannte aus des Stammes Mitte ein weiteres Albenkind zu ihr zu treten. Groß ward so manches Augenpaar, das auf und aus ihren Reihen Eru nun erhoben vortreten sah. Eru, verkündete der Geist, soll das Albenkind der nächsten Ehe sein, die den nun berufenen schließlich entlässt, und mit immergrünem Kranz zu ihrem Haupte ward ihr ein Zeichen des Versprechens auferlegt.
Aufregung vernahm Eru noch zu später Stund', da einige die neue Kunde noch besprachen, und sah Besorgnis in des Vaters Blick.
Wenige Nächte nur blieben ihr nach der hohen Zeit, da Eru in dem verbliebenen Jahr ihre Reise anzutreten gedachte und eine jede verbrachte sie am Grabe, da ihr nur dort Gwynns Geist erschien. Sanft legte sie ihren Kopf auf die kalten Kräuter des Hügels und erzitterte ob der nächtlichen Winde. - ·Wirst du zurückbringen, worum man mich beraubt.· - War Gwynn auch bei ihr, so empfand sie ob des Geistes Anwesenheit Einsamkeit, ob der letzten Nacht Trauer und sehnte sich bereits zurück, die sie noch nicht einmal fortgegangen war. Gwynn aber sprach von der alten Zeit, als sie noch in Fleische über die Lande schritt: ·Trugen sie Furcht und Trauer auf ihren Schultern, die sie ohne Familien in der Gunst ihres Königs standen, doch nicht seinen Ruhm empfingen ihn nicht zu beflecken, ..·. Sehnsucht nach der Stimme, die sie in den Schlaf erhob, begleitete die letzten Worte, die Eru in diesem Jahr von Gwynn hören sollte. Denn an gewöhnlichem Tage blieb ihr des Geistes Antlitz verwehrt und an solchem war es an ihr nun aufzubrechen.. ·..und brachten beides im ehrlosen Hinterhalt in die Herzen ihrer Feinde, schonten deren Eltern noch die Kinder nicht und vergingen selbst am Schmerz, den sie ihnen zugefügt.·
Jenseits der Walde nahmen ihr einzig der Anblick wilden Getiers und ihre eigenen Erinnerungen die wachsende Einsamkeit, die zunächst nicht dem Fehlen anderer Alben, doch der Gewissheit solchen lang nicht mehr zu begegnen geschuldet war. Gesucht hatte sie solche Ferne, wenn des Bären Fratze Grimassen zog und sie nicht zur Ruhe kommen ließ, doch fand sie sich bald isoliert mit dem Geistwesen in ihrem Kopfe. Und zunehmend befiel sie die Sorge, sich zu vergessen und ihm in dieser Einöde endgültig zu verfallen.
Die großen Stampeden hatten auf diesem Landstrich schon geweidet und waren dabei ihn zu passieren. Unter ihnen zogen auch die ersten trägen Mammutherden langsam südwärts, würden jedoch länger im hohen Norden verbleiben, mit ihren Stoßzähnen auch im Winter noch die Schneewehen aufwühlen und sich auf ihrer Suche nach dem letzten Grün noch über die Lande verstreuen. Doch wenn sich die Waldgötter auch schon zum Schlafe betteten, ruhten sie noch nicht und schenkten den Pflanzen Leben, sodass den Mammutherden noch keine Trennung bevorstand. Ein einzelnes hingegen wusste nicht länger unter den seinen zu verweilen und verließ sie, um von den weichen Gräsern naher Tümpel zu speisen, aus denen die Gebeine seiner Ahnen emporragten. Langsam schritt das mächtige Tier zwischen den Gerippen durch die schlammigen Pfützen. Geruhsam suchte sein langer Rüssel das Grün, das seiner Zähne Schmerz nicht entfachte. Tapfer trugen ihn seine stämmigen Beine schon seit Tagen, da er fürchtete sich nicht mehr aufrichten zu können, sodenn er sich ein weiteres Mal Ruhe gönnte. Vom Alter kündete sein brauner Mantel, die vergilbten langen Zähne, einer gebrochen, und zwischen all dem die müden Augen, sanft und weise. Ein leichtes Schnauben prustete er heraus, doch war es eher ein Niesen denn eine Drohgeste an sein Gegenüber. Dessen Anwesenheit gewahr behielt er stets im Blicke, dass dort ein Feuer loderte unter eines Ahnen Schädeldecke, vor dem ein Albenkind da ruhte.
Sie waren nun einige Tage unterwegs und man merkte den Jägern die innere Unruhe an. Sie hatten bereits Spuren von Tierherden gekreuzt, doch dabei handelte es sich vermutlich um Bisons oder andere Rindartige. Auch Izar verspürte die Aufregung, hatte sie doch noch nie ein lebendiges Mammut gesehen. Aber dafür umso mehr Geschichten gehört von ruhmreichen Jägern ihres Stammes, aber auch von Kämpfen, wo die Krieger den stolzen Tieren unterlegen waren. Man berichtete sich, dass die Tiere gross wie Bäume waren und so kräftig wie hunderte Ochsen zusammen. Mit einem einzigen Tritt könnten sie Löwen töten oder zumindest auf schwerste Weise verletzen. Obwohl ihre Grossmutter meinte, sie solle nicht alle Geschichten glauben, sprach sie doch auch mit viel Respekt von diesen Geschöpfen. Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Izar an Mamanesh, welche ihr immer gepredigt hatte, dass jedes Lebewesen ein Geschenk sei und man es mit Achtung behandeln sollte.
Der Abend begann langsam herein zu dämmern, als der Anführer den Befehl zur Rast gab. „Wir werden hier etwas länger verweilen. Die Tiere müssen ganz in der Nähe sein und wir wollen für die bevorstehende Jagd ausgeruht sein“, mit diesen Worten begann die Gruppe sich für die Nacht einzurichten. Auch Izar beschloss, wieder einmal richtig zu schlafen und legte sich im Schutz der Gruppe nieder. Ihre Gedanken wirbelten im Kopf herum. Sie dachte an die Worte ihrer Grossmutter, an die mächtigen Mammuts, aber auch an ihre bevorstehende Reise zur heiligen Stätte, welche sie alleine zurücklegen musste. Irgendwann verfiel sie in einen erholsamen Schlaf.
Sie fand sich auf einer Hügelkuppe wieder. In ihrem Rücken fanden sich die schneebedeckten Gipfel der Berge. Zu ihrer rechten Seite erstreckte sich ein sanfter Flusslauf, der sich in immer kleineren Verläufen verzweigte und im Nichts zu enden schien. Links erstreckte sich eine weitere Hügelkette, wo sie in weiter Ferne dunkle Punkte ausmachen konnte, die sich langsam hinfort bewegten. Als Izar ihren Blick jedoch auf das Geschehen vor ihr umwandte, schnappte sie erstaunt nach Luft. Zu ihren Füssen befand sich ein Sumpfgebiet, welches wohl vom Wasser des Flussverlaufes gespeist wurde, der hier sein Ende gefunden hatte. Es herrschte völlige Stille, was die junge Centaurin verwunderte. Keine Vögel, keine anderen Tierstimmen, nicht das Rauschen des Windes oder das Plätschern des Wassers waren zu hören. Vielleicht hatten die Hügel und Felsen die Geräusche verschluckt. Izar wandte den Blick wieder ab und wollte mit den Augen den Gestalten folgen, die bereits zuvor ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, da vernahm sie plötzlich eine Stimme. „Da gehen sie dahin.“ Der Klang erfüllte die Centaurin mit Trauer und doch wirkte er auch seltsam beruhigend. Ihre Anspannung verflog und sie wandte ihren Blick um. Neben ihr erhob sich der mächtigste Körper, den sie je gesehen hatte. Das zottelige Fell hing dem Geschöpf wie ein alter, verfilzter Mantel über dem Leib. Seine Beine waren dick wie junge Baumstämme, und doch machte es den Anschein, als könnten sie ganz behutsam auftreten. Ein langer Rüssel schlenkerte sanft über dem Boden hin und her und unter dem etwas spärlicheren Fell waren unzählige Runzeln zu erkennen. Das Gewicht der zwei mächtigen Stosszähne schien das Tier nicht zu belasten, im Gegenteil es trug sie mit einer Würde und Eleganz, die seinem Alter nicht zuzutrauen gewesen wäre. Izar fiel auf, das der eine Zahn abgebrochen war – vermutlich als Folge von Machtkämpfen. Trotz allem fesselte die Centaurin vor Allem der Blick des Mammuts. Seine Augen waren erfüllt von Weisheit und Sanftheit und Izar war überzeugt, dass dieses Wesen niemandem aus Bosheit Schaden zufügen würde. „Ich habe noch nie einen wie dich gesehen“, erklärte Izar und kam sich gleichzeitig naiv vor, da sie mit einem Mammut sprach, das vermutlich nur in ihrem Traum existierte, denn so viel war ihr inzwischen bewusst geworden, dies konnte nicht die Wirklichkeit sein, in welcher sie lebte. „Du wirst noch viele meiner Art sehen. Deine Reise wird dich weit herumführen und unterschiedlichsten Lebewesen wirst du begegnen. Du sorgst Dich, alleine zu verbleiben. Doch ich sage Dir: Du wirst niemals einsam sein.“ Izar fühlte sich an ihre Grossmutter erinnert, welche auch oft auf diese Weise zu sprechen vermochte.
Die Centaurin wollte darauf antworten und nachfragen, doch plötzlich spürte sie, wir ihr ganzer Körper durchgeschüttelt und aus dem Schlaf gerissen wurde. „Wach auf du Faulpelz! Wir haben die Mammuts entdeckt, sie befinden sich ganz in der Nähe!“, sofort wurde auch Izar von Aufregung gepackt und der Traum schien vergessen. Bald war das provisorische Lager abgebrochen und die Jäger trabten in zackigem Schritt ihrer Beute hinterher. Izar kam die Szene seltsam bekannt vor. Sanfte Hügelkuppen, die Gipfel der Berge im Hintergrund, der sich verzweigende Fluss an ihrer Seite. Fehlte bloss noch….
Izar wurde aus ihren Überlegungen gerissen, als der Anführer sich zu ihr umwandte. „Ich möchte nicht, dass du an der Jagd teilnimmst. Du hast eine andere Aufgabe zu bestehen.“ Sein strenger Blick verdeutlichte ihr, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Einen Augenblick lang rang sie mit der Vorstellung, Widerstand zu leisten und sich trotzdem der Gruppe anzuschliessen. Dann jedoch begnügte sie sich mit einem resignierten Seufzen und einem verächtlichen Blick. Die anderen hatten bereits einen Vorsprung. Izar und ihr Anführer galoppierten gemeinsam los bis sich ihre Wege trennten. Die junge Centaurin hatte beschlossen, die Jagd aus der Höhe zu beobachten und bewegte sich auf eine Anhöhe hinauf, von der sie einen guten Ausblick auf das Geschehen haben würde. Sie meinte, bereits die Geräusche der Mammuts in ihren Ohren zu vernehmen, welche sich bloss noch einige hundert Pferdelängen entfernt befinden mussten.
Früh war es am Tage und der Himmel von schweren Wolken noch behangen, da der alte Wanderer im braunen Mantel sich der Stätte näherte. Tief lag sie mit ihren Tümpeln in den Landen und zu jedem Horizont erhob es sich und schloss sie ein und trennte sie von der Tundren Weite. Vom fernen Winter kündeten in diesem Kessel die ersten Morgenwinde und auch die Sonne vermochte das feuchte Land zu dieser Tageszeit nicht wohl zu wärmen. Einsam schien er zwischen den leeren Blicken der alten Gerippe, wenn auch einige Insekten sich im Morast tummelten und kleine Vögeln diesen nachstellten, und schwach brannte dort unter eines Mammuts Schädel vom Wind geschützt die Flamme, die das morgendliche Mahl bereiten sollte.
Dumpf holte der Schlaf sie ein, hatten die Geister der alten Wanderer ihn doch heimgesucht und mit der Nässe der Tümpel geplagt. So sah sie abermals Bilder, die doch nicht vor ihr lagen. Dunkle Nächte in den Walden, aufgeregte Alben an den Feuern, Erinnerungen, die nicht die ihren waren. Kein klares Wort, kein deutliches Gesicht hätte sie dem entnehmen können, bis dann eine andere Gestalt hervortrat - Gwynn. So erzitterte sie am ganzen Leibe und öffnete ihre Augen wieder, um Mahl und Gast zu prüfen.
Bald hatten sie sich darauf einigen können, einander im Auge zu behalten und auch sonst nicht mit allzu hastigen Bewegungen aufzuschrecken. Wahrte es auch Abstand und hatte noch keine Versuche unternommen sie zu vertreiben, sorgte sie sich nun auch um die Raubtiere, die sein Ableben locken sollte. War ihm bereits eines gefolgt? Tiefer grub sie sich in Turis Mantel und verblieb an ihrer warmen Stätte, wollte sie sich doch nicht erheben und mit ihrem jüngsten Frieden brechen, ehe sie nicht sicher war. Dennoch wanderte ihr Blick nunmehr über die nahen Hügelkuppen, von welchen ihr Gast her angereist war und an welchen sie eben noch eine Regung vernommen hatte. Zumindest zeitweise hatte die Ahnung einer drohenden Gefahr sie nun aus dem Bann der Träume gezerrt, sodass sie mit wachem Blick nun achtsam war und dem ruhigen Land misstraute. Ob das Mammut von einem Gefolge wusste?
Ihre Beine sträubten sich gegen die bevorstehenden Wanderungen. Der Herbst hatte bereits begonnen, ohne dass sie der Erfüllung ihrer Aufgabe näher schien. Und wieder stand nur eine lange Reise mit ungewissem Ziel bevor, ehe sie nicht Hinweise auf den Verbleib ihrer Stammesgeschwister fand. Doch wie sollte sie je zu den ihren zurückkommen, solange nicht das Ziel ihrer langen Ferne erreicht sei?
Am Hügel beobachtete sie, wie ihre Artgenossen sich stetig von ihr entfernten und dabei auf einige dunkle Punkte am Horizont zuschossen, welche sich weit gemächlicher vorwärtsbewegten. Bald würden sie zusammenstossen und im Kampf würde über Leben und Tod entschieden werden. Izar verspürte ein Ziehen in ihrem Inneren, als wäre sie selber an der Jagd beteiligt und als würde ihr Herz das mit Adrenalin angereicherte Blut durch ihren Körper pumpen.
Plötzlich spürte sie einen Luftzug, der ihre Haare herumwirbelte und ihr die losen Bänder ihres Stirnbandes ins Gesicht wehte. Ungeduldig schob sie sie sich aus den Augen, denn sie trübten ihren Blick. Doch dann hielt sie inne. Ein Geräusch drang an ihre Ohren, der nicht von der Herde und dem Geschehen vor ihren Augen stammte. Sie wandte sich um. Einige Meter trennten sie vom höchsten Punkt des Hügels. Ihre Hufe wühlten den Boden auf, als sie einen nach dem anderen voransetzte und der Kuppe entgegenging. Plötzlich spannte sie ihre Muskeln an. Womöglich war es ein Raubtier, und sie sollte nicht so unbedacht der Gefahr entgegen gehen. Ihr Schweif peitschte unruhig im Wind. Doch die Neugier siegte. Und Gewissheit würde ihr mehr nützen, als aus dem Hinterhalt überrannt zu werden. So brachte sie die letzten Meter hinter sich. Staunend betrachtete sie, was ihr zu Füssen lag. Ein Sumpfgebiet so schien es. Ihr Blick wurde jedoch von etwas anderem angezogen und so blickte sie voller Ehrfurcht auf das mächtige Geschöpf, welches mit seinem Rüssel beinahe liebevoll die Grashalme zupfte und in aller Ruhe zu seinem Maul führte, um sie dann unter regelmässigem Kauen zu verschlingen. Izar bestaunte das mächtige Wesen und plötzlich traf sie die Erinnerung an ihren Traum wie ein Schlag. Doch sie schüttelte den Kopf, dies war ein richtiges Lebewesen und nicht bloss eine Traumgestalt.
Wie um sich zu vergewissern schritt sie langsam den Hügel hinunter. Der Boden wurde weicher und die Hufe gruben sich tiefer in die feuchte Erde hinein, welche von einem endenden Flusslauf gespeist wurde und sich in mehreren Tümpeln verlor. Der moschusartige Geruch des Tieres umhüllte sie bald wie ein Parfum, die ganze Umgebung schien das Aroma aufzusaugen und sie hatte bald das Gefühl, dass es selbst ihren Eigengeruch übertünchte.
Plötzlich hielt sie inne, als der Wind drehte, und ein neuer Duft an ihre Nase drang. Etwas beunruhigt blickte sie sich um, und erkannte bald die schwache Flamme, welche mehr Rauch als Wärme abzusondern schien. Erst jetzt fiel ihr Blick auch auf die vielen weisslichen Gebilde, welche in der ganzen Senke verteilt herumlagen. Sie wirkten, als wären sie schon immer da gewesen und als wären sie bloss hier, um dem Ort ein gewisses Etwas zu verleihen. Izar schauerte, als sie die Skelette unzähliger Mammuts darin erkannte. Doch sie erinnerte sich der Flamme und blickte auf. War da eine Gestalt in der Nähe des Knochenschädels? Eine Bewegung, ein Lufthauch?
Sie setzte einen Schritt vor den anderen, als sie voller Neugier, aber auch Misstrauen näher kam. Im Gegensatz zum Mammut besass sie jedoch nicht eine langjährige Erfahrung, welche ihr besagte, wohin ihre Schritte sie führen sollten, und welche Stellen zu meiden waren. Und so war es nicht verwunderlich, dass sie mit jedem Tritt etwas tiefer in den Sumpf einzusinken begann. Anfangs sah sie darin keine Gefahr, ihre Aufmerksamkeit galt dem Mammut und dem Schatten beim Knochenschädel.
Doch der Sumpf kannte bei Eindringlingen kein Erbarmen und bald war sie bis zu den Knien im trüben Wasser versunken. Erst jetzt erkannte sie, welch Eigensinnigkeit hinter ihrem Vorhaben steckte. Sie blickte sich verzweifelt um, nach einer Stelle, wo sie ihre Hufe ohne Bedenken hinzusetzen vermochte. Ihre Bewegungen wurden unstet und ihr schwerer Leib drohte mehr und mehr einzusinken, jeder Schritt wurde von Mühsal gezeichnet und raubte ihr die Kräfte. Vergessen war alles um sie herum, denn nun kämpfte die junge Centaurin ums Überleben. Das Mammut hatte innegehalten und beobachtete mit seinen dunklen Augen und wissendem Blick das verhängnisvolle Geschehen.
Nichts regte sich mehr an den Hügeln, seit sie endlich erwacht so sehr darauf bedacht war jede Regung zu vernehmen. Stiller wurden die lärmenden Vögel und gingen in des Feuers Lauten unter, das nun wohlige Sicherheit ausstrahlte, die nasse Kälte auszutreiben versprach und willenlos machte. Doch stiller wurden die Vögel, und so siegte das erwachte Misstrauen, ob der leeren Hügel nicht gestillt, über die Verlockungen der Flamme. Wenn nicht der alte Wanderer sich fürchtete, waren sie sich doch einer Gefahr bewusst. Die Hände zum Tiere gestreckt ersuchte sie Harmlosigkeit zu signalisieren, während sie sich ruhig von ihrem Platze erhob. Auf die große Entfernung ließ er sich nicht anmerken, dass etwas geschehen sei, doch ihn nicht erschrocken zu haben erfüllte bereits den Zweck ihrer Geste. Während sie Hemd, Schurz und Mantel zurechtrückte, ließ Eru ihren Blick nochmals über die Grabstätte schweifen. ·Warte hier.·, redete sie ihm mit sicherer Stimme zu, als sie ihre Lanze ergriff, um sich gewappnet einige Schritte von ihrer Schlafstätte zu entfernen und von einer Anhöhe über den Kessel und die weite Tundra zu blicken.
Von der trockenen Insel, die ihre Schlafstätte war, suchte Eru den Pfad zurückzuverfolgen, auf dem sie am Vorabend ohne durch nassen Schlamm zu waten dorthin gefunden hatte. So gab der Boden unter ihrem Schuhwerk auch an diesem Morgen kaum nach und führte sie fort von Lager und Habe wie auch dem Gaste. Doch brauchte es selbst von der Anhöhe aus eine Weile, ehe sie erblickte, was sich unten zwischen den Sträuchern, den hohen Gräsern, dürren Bäumen, Felsen, Stümpfen und Gerippen abspielte. Die Wasser hatten sie verraten, da sie die hindurchgezogenen Schritte mit weiten Spuren würdigten: Eine Herrin der Steppen hatte sich in ihren sumpfigen Kessel verirrt. So hatte der alte Wanderer sie mit seiner Ruhe doch betrogen, hatte er von seiner Weide aus längst beide im Blick behalten.
War er hier eingetroffen, um zu seinen Ahnen einzukehren, hatte sie selbst für ihren Schlaf Schutz vor den nächtlichen Winden der Weite gesucht. Doch was sollte am frühen Morgen die Steppentochter im Morast dieser Senke wollen, zudem alleine? War es nicht das Schicksal ihrer Söhne von ihren Herzen getrieben einsam über die Weiten zu galoppieren und Fremden große Geschichten hierüber zu berichten? Die Jagd war es wohl kaum, lohnten die Vöglein hier der Pfeile nicht und trugen mehr Federn als Gedärm am Leibe, was dem großen Appetit der Centauren kaum genügen sollte. Der Wanderer etwa? Trotz hohen Alters war er doch eine ehrgeizige Beute in diesem Morast, durch welchen er schneller zu wüten wusste als ihnen auch nur einfiele. Eine Sammlerin womöglich? Kröten, Kraut und Elfenbein gab es in diesem Kessel zur Genüge. Dann würden auch ihre Schwestern nicht allzu fern sein. Und doch schien es nun verkehrt, dass sie so tief in den Wassern stand. Die Schritte zu ihrem Lager gewandt wäre Eru von hinten überascht worden. War das ihr Ziel, sich unbemerkt an das entdeckte Lager anzupirschen? Tiefer sank sie unterdessen ein, schlug größere Wellen und rang mit den Tümpeln um ihre Freiheit, da die Geister der alten Wanderer sie zu sich zogen. Hastig sprang Eru mit der Erkenntnis auf und eilte die Hügel hinab, ehe die Geister auch ihr mit nassen Böden drohten und ihren Spurt so bremsten. Ein Knurren ging durch ihren Geist, da sie nun vor Wassern stand, die auch ihre Füße schnell verschlucken würden. Sogleich legte sie die Lanze ab, um Turis Mantel und die ledernen Schuhe im Trockenen zu lassen, ehe sie, erneut bewaffnet, durch die Wasser schlurfte und bald schon hinter hohen Halmen die Centaurin vor sich sah. Schnell wurd ihr nun die Größe und Kraft ihres Gegenübers gewahr. Wenn sie schon Mühen hatte sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, wie sollte Eru ihr noch helfen? Erfurcht war es nun, mit der Eru zwischen den Gräsern hervortrat und darauf bedacht war selbst nicht knietief einzutauchen. Ein Zuruf sollte ihr Aufmerksamkeit verschaffen, während sie die Lanze zur Centaurin streckte, die sie damit herauszuziehen gedachte, und ernst erklangen ihre Worte: ·Los!· - ‹Greif danach!›.
Izar verspürte die Umklammerung und es kam ihr vor, als würden Hände sie umschlingen und unaufhaltsam in die Tiefe ziehen. Von ihren erfolglosen Bewegungen war der Schlick aufgewirbelt und das Wasser trüb, so dass sie ihre Beine in der bräunlichen Brühe nicht erkennen konnte. Hilfesuchend blieb ihr Blick an dem Mammut hängen, und plötzlich wusste sie um den Sinn seines Daseins. Er würde hier zur Ruhe kommen, sanft entschlafen, wie bereits unzählige seiner Vorfahren es vor ihm getan und viele weitere ihm folgen würden. Ein Schauer ging durch ihren Körper, als ihr die Erkenntnis durch Mark und Bein ging. Bereits einmal wäre sie beinahe ertrunken und sie vermochte sich noch allzu gut daran erinnern. Seltsamerweise ebbte ihre Furcht langsam ab. Das Wasser hatte damals ihre Schmerzen gelindert und auch dieses Mal fielen seine Berührungen sanft und wohlwollend aus. Izar spürte eine zufriedene Trägheit in sich aufkommen. Ihr Puls beruhigte sich, als sie die Augen schloss und die Gerüche tief in ihre mächtigen Lungen einsog. Ihre Finger umschlossen den schwarzen Stein, der Glück zu bringen versprach und welchen sie an einem Lederband um den Hals trug. Seine raue Oberfläche drückte sich in ihre Handfläche, als sie sie zur Faust ballte und hinterliess ein seltsames Muster. Langsam entspannte sich die Centaurin. Vermochten es die modrigen und doch belebenden Dämpfe, die Geräusche der singenden Vögel und der Gräser, welche sanft im Wind wippten, die Erinnerungen an ihre Grossmutter oder die Anwesenheit der unzähligen Ahnen ihre Angst zu lindern?
Eine plötzliche Unruhe fuhr in den Sumpf hinein und Izar wurde aus ihrem lethargischen Zustand herausgerissen. Die Furcht vor dem nahen Tode bemächtigte sich ihrer mit einem Schlag aufs Neue und ihr Überlebenswille kehrte zurück. Das Wasser schwappte gegen ihre vom Schlamm verdreckten Flanken und kündigte einen Besucher an. Ein Funke der Hoffnung flackerte in ihrem Inneren auf. Womöglich war ihr Clan zurückgekehrt, um nach ihr zu suchen. Oder war es ein Raubtier, welches in aller Ruhe abwarten konnte, bis ihre Kräfte nachgelassen, um sich dann hungrig auf sie zu stürzen und seine Fänge in ihr warmes Fleisch zu schlagen? Mit frischer Energie versuchte sie sich erneut zu befreien, konzentrierte sich darauf, einen Schritt zu tun. Ihr rotbraunes Fell glänzte vom Schweiss der Anstrengung und ihre schwarzen Locken klebten ihr an Stirn und Nacken.
Plötzlich, eine Bewegung. Das Geräusch eines Wesens, welches sich durch den Sumpf schlängelte, immer näher auf Izar zu. Unruhig suchte ihr Blick die Umgebung ab, um schliesslich an einer Gestalt hängen zu bleiben. Sie wurde von den langen Halmen verdeckt, doch es musste ein Mensch sein. Izar wollte sie warnen, doch es war bereits zu spät, als die Frau, so erkannte die Centaurin, bis auf einige Meter herangetreten war. Bei jedem Schritt sanken ihre nackten Füsse in den kühlen Schlick ein und wirbelten das Wasser auf. Der Schlamm umschloss ihre Zehen, kroch unter die Nägel und bedeckte ihre Beine bald wie eine zweite Haut. Izar erinnerte sich an heisse Tage, wo er zu einer Kruste eintrocknen und lästige Fliegen und Steckmücken abhalten würde. In diesem Moment jedoch erschwerte er ihr das Vorankommen und gab ihre Glieder jedes Mal bloss mit einem unwilligen Schmatzen frei, um sie danach nur umso ehrgeiziger festzuhalten. Obwohl Izar tief feststeckte, überragte sie den Menschen noch immer und erhaschte einen Eindruck auf eine wilde, braune Mähne und smaragdgrüne Augen, vor welchen sie innerlich zurückschreckte und welche sogar die Gefahr durch den Speer in den Hintergrund stellten. Der Blick traf sie tief und durchdringend wie der eines Raubtiers. Im nächsten Augenblick verflog dieser Anschein jedoch, als ein Zuruf erklang. Die Stimme war kräftig, und die Botschaft eindeutig, obwohl ein anderer Akzent ihre Worte betonte. Ohne zu zögern streckte Izar sich nach vorne, um den Speer zu ergreifen, denn sie sah darin ihre einzige Hoffnung aus dem Tümpel zu entkommen. Was auch immer die Beweggründe der anderen sein mochten, es kümmerte die Centaurin nicht. Zu gross war ihr Wille zu überleben. Doch ihr Griff ging ins Leere, zu gross war der Abstand zwischen den beiden Frauen.
Izar hielt den Blick auf die Frau gerichtet, von welcher eine unbeugsame Kraft auszugehen schien und ihr neue Energie gab. Bevor sie einen weiteren Versuch unternahm, entfernte sie vorsichtig ihren Bogen samt Köcher, um ihn der Frau entgegen zu werfen. Dann öffnete sie geschickt eine Schlaufe ihrer Rückentasche und sie flog in dieselbe Richtung. Falls sie im Sumpf versinken würde, bräuchte sie die Dinge bald nicht mehr... Dann konzentrierte sich Izar auf ihr rechtes Bein und unter grosser Anstrengung löste es sich schmatzend aus der Umklammerung. Jedoch war sie in ihrer Unachtsamkeit mitten in eine Art Tümpel getreten und es bot sich ihr keine Möglichkeit, ihre Hufe auf festeren Untergrund zu setzen. Sie versuchte einen langen Schritt, und ohne das Gleichgewicht zu verlieren, tauchte sie ihn mit Bedacht ein. Ihre Rechnung war aufgegangen und sie vermochte sich mit einem gezielten Griff an dem hingehaltenen Speer zu halten. Auch ihre Retterin war inzwischen etwas eingesunken und Izar bewunderte ihren Mut. Mit vereinter Kraft kämpften sie gegen den Widerstand des Sumpfes an. Durch den Halt und den Zug der Lanze fiel es der Centaurin etwas leichter, das nächste Bein zu befreien, doch schnell wurde klar, dass die Menschenfrau bald ebenfalls mit dem Sog würde zu ringen haben und ihre Kraft nicht ausreichte, ihr mächtiges und um ein vielfach schwereres Gegenüber zu befreien. Die Centaurin wollte sie nicht mit sich in den Tod ziehen, trotzdem war sie erleichtert darüber, nicht alleine sterben zu müssen, denn langsam begann sich der Gedanke wie ein Gift in ihrem Kopf einzunisten. Gerade wollte sie der anderen ihren Dank aussprechen und sie ermutigen, ans sichere Ufer zurückzukehren, als eine Bewegung am Rande ihres Gesichtsfeldes sie innehalten liess. Sie versuchte den Kopf zu wenden, doch konnte nur einen Schatten erkennen, der sich ihnen behäbig näherte.
Einen weiteren Schritt in die schlammigen Gründe und einen weiteren Versuch der Steppentochter, ihres Habes entledigt, brauchte es, ehe die Lanze beide verband. So sank auch Eru immer tiefer und fürchtete bald sich selbst schon nicht mehr mit eigener Kraft hinausziehen zu können. Doch wenn sie die Herrin der Steppe nur ein Stück weit befreien könnte aus ihrem Unglück, würde es für die Vierbeinige ein Leichtes sein, Eru wiederum aus dem Schlamm zu heben.
Gemeinsam war ein zweiter Schritt gelungen, der die Spannung beider in Armen und Oberkörper kurz löste, doch die Last auf die übrigen Beine lud und sie weiter in die Erde stieß, wo des Tümpels Fänge ihre Füße fest umschlangen. Aufgewirbelt waren die Wasser trüber als zuvor, schlugen in ihrem Kampfe Wellen und trafen beide mit kühlem Schlamm, mit dem der Tiefen Kälte nach ihnen griff. Höher schlugen sie, da der Tümpel nun zürnte, als die Centaurin ihren Blick fing und zum Wort ansetzte. Da wandte sie ihr Haupt, denn von beiden unbemerkt hatte sich indess der alte Wanderer genähert, war gemächlich zu ihnen gewatet und schlug mit schweren Schritten in den Morast. Drohend warf er seinen Schatten über sie, schnaubte erbost ob der Beleidigung ihm seinen Pfad zu verweigern und warnte mit lautem Brüllen, während er sich unaufhaltsam auf sie zubewegte. So dauerte es nicht lang, ehe er sie erreichte, ohne dass ihm der Weg bereitet ward. Zornig hob er seinen Rüssel und klagte zum Himmel ob der Schmach, die ihm zuteil ward, ehe er sein Haupt senkte und mit die Herrin der Steppen mit kräftigem Schlag aus seinem Weg stieß, ihn ihrer ungeachtet fortzusetzen. Von des Rüssels Wucht erfasst wurden ihre Beine aus dem Schlamm gezogen und sie stolperte einige Schritte fort, zog Eru mit sich und fiel, von den Wellen erfasst, so wie es auch der Albin erging, fing sich jedoch wieder und fand sich auf höherem Grund als zuvor.
Der alte Wanderer aber kümmerte sich nicht um sie, sodass Eru seine Achtsamkeit nun missverstanden glaubte. Er sah keine Gefahr in ihnen und setzte seinen müden Weg fort, schritt schweren Atems durch die hohen Gräser, schob Treibholz aus seinem Wege und hob den nassen Mantel aus den Wassern, als er ein Eiland dunkelgrüner Farngräser betrat, an welchen er wieder zur Ruhe kam, doch sein tobend Herz noch nicht beruhigt fand.
Die Lanze wieder von ihr geführt stach Eru in die Wasser, um die Schlaufen von Tasche und Köcher einzufangen und sie samt Bogen in Richtung der Centaurin zu stoßen, ehe sie selbst wortlos wie erschöpft in Richtung ihres Habes und schließlich ihres Feuers schritt, es stärker zu entfachen und Nässe und Kälte zu vertreiben, wie auch des Vaters Geist, der sie dorhin begleitete.
Bevor sie wusste, wie ihr geschah, wurde Izar von der Wucht des alten Wanderers weggerissen. Ihre Hufe lösten sich mit einem unwilligen Schmatzen aus dem schlammigen Grund und sie torkelte unbeholfen zur Seite. Beinahe drohte sie das Gleichgewicht zu verlieren, ruderte mit den Armen und konnte sich schliesslich doch noch halten. Geistesgegenwärtig zwang sie ihre Beine einige Schritte weiter bis sie am ganzen Leibe zitternd festen Boden unter den Hufe verspürte. Ein rasselndes Keuchen mischte sich in ihren Atem, ihr Blick verschwamm vor Schmerz und sie hielt sich die Seite, wo der schwere Rüssel sie einer Keule gleich getroffen hatte. Sie würde wohl blaue Flecken oder gar eine Prellung zurückbehalten, doch Centauren waren robust gebaut und sie würde es überstehen. Mit einer raschen Handbewegung wischte sie die Augen trocken. Mehr jedoch reagierte ihr Körper vor Erleichterung und ein leises Aufschluchzen entrang sich ihrer Kehle, als sie begriff, wie knapp sie dem Tode entronnen war.
Als sie ein leises Platschen hörte, wirbelte sie herum. Einen Moment lang hatte sie die Menschenfrau vergessen, die Wilde, wie sie sie insgeheim nannte. Sie hatte ihre Lanze ergriffen und kurz flammte Misstrauen in Izar auf. Doch entgegen ihrer Vermutung fischte sie nach der Tasche, dem Köcher und dem Bogen, welche noch immer im Sumpf dümpelten und stiess sie in die Richtung der Centaurin. Izar war erleichtert, als sie ihre Habe wieder bei sich hatte. Ohne ein weiteres Wort wandte sich die Frau ab, schritt zurück zu ihrer Lagerstelle, wo sie das Feuer aufs Neue entfachte.
Izar beobachtete sie aufgewühlt. Kein weiteres Wort war zwischen ihnen gefallen, und doch hatte die Centaurin einen Augenblick lang das Gefühl, als würde die beiden etwas verbinden. Doch womöglich war es nur der Anblick des nahenden Todes, der diese Empfindung gegenüber eines Lebewesens, das diesen Moment mit ihr geteilt hatte, hervorzurufen vermochte. Sie schüttelte sich unbehaglich und ihre Haare wirbelten lose um ihr Haupt und ihre Schultern. Da erst bemerkte sie, dass ihr Stirnband verrutscht war. Schnell glitten ihre Finger hoch und geschickt verbarg sie ihr Geheimnis, welches ihr mitten auf der Stirn prangte unter dem weichen Stoff. Dann lauschte sie auf die Geräusche. Es war einiges an Zeit vergangen. Ob ihr Volk sie bereits vermisste? Oder hatten sie angenommen, dass sie absichtlich ihrer Wege gegangen war, so wie auch ihre Grossmutter es von ihr erwarten würde? Vielleicht waren sie deshalb noch nicht zurückgekehrt, um sich nach ihrem Verbleib zu erkundigen.
Das Mammut war in einiger Entfernung zur Ruhe gekommen und zupfte an den saftigen Farnen. Ab und an hörte man sein müdes Schnaufen. Auch Izar war erschöpft und fühlte sich ausgelaugt. Sie war einen sehnsüchtigen Blick zum Lagerfeuer hinüber. Sollte sie sich hin wagen? Womöglich wollte die Frau keine weitere Störung haben, es wäre ihr nicht zu verdenken. Andererseits hatte Izar sich noch gar nicht erkundigt, ob sie sich bei dem heftigen Zusammenstoss mit dem alten Wanderer nicht verletzt hatte. Etwas unschlüssig schritt sie los, dieses Mal darauf bedacht, auf dem trockenen Pfad zu bleiben und den tückischen Stellen fern zu bleiben.
Bald hatte sie sich vorgeschlängelt und der würzige Geruch des Qualms stieg ihr in die Nase. Das Feuer flackerte munter vor sich hin und die Flammen warfen verspielte Schatten auf die Gestalt der Menschenfrau. In diesem Schein zeugten ihre Haare von Wildheit und der Blick der grünen Augen wirkte unberechenbar. Trotzdem wurde es Izar wärmer ums Herz, als sie sich der Wilden näherte. Vielleicht war es aber auch die Hitze des Feuers, welche diese Regung in ihr auslöste. Welche Worte sprach man an die Person, welche einen erst gerade das Leben retten wollte und sich dabei selbst in die Klauen des Todes begeben hatte?
‹„Darf ich mich bei dir niederlassen?“›, platze Izar schliesslich heraus, bevor sie sich zurückhalten konnte. Noch bevor die Andere eine Erwiderung hervorbringen konnte, gaben die Beine der jungen Centaurin nach, und sie knickte entkräftet in sich zusammen. Mit einem gequälten Stöhnen rieb sie sich die Rippen. Ob die Menschenfrau ihrer Sprache kundig war? ‹„Beinahe hätte ich dich mit in den Abgrund gezogen“›, meinte sie nach einer kurzen Pause, während ihr Blick an einem schwarzen Käfer haften blieb, der sich ungestüm von dem flackernden Feuerschein entfernte. Izar hätte gerne mehr gesagt, doch ihre Kehle war staubtrocken und ausserdem drohten ihr die passenden Formulierungen auszugehen. Zu ihrer Überraschung spürte sie keine direkte Bedrohung von ihrem Gegenüber ausgehen, obwohl ihre eigene Müdigkeit sicher Teil daran hatte, dass ihre Achtsamkeit nachliess. Immer wieder huschte ihr Blick zu der Menschenfrau, doch sie wollte nicht unhöflich sein. Izar war sich auch ihres eigenen Anblicks bewusst. Dreckverschmiert, mit struppigem Fell, zerzausten Haaren und einem noch immer gehetzten und harten Gesichtsausdruck musste sie nicht gerade wie eine stolze Vertreterin ihres Volkes wirken. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und erreichte mit einem sanften Funkeln ihre Augen. Was würde ihre Grossmutter wohl von diesem Stand der Dinge halten? Bestimmt würde sie es als schicksalshaft bezeichnen…
Verloren blickte Eru in die auflodernde Flamme, die aus dem Schutze des Mammuts Schädels herausgetreten um sich schlug. Angenehm wurde sie von der gespienen Wärme umhüllt, die bald schon zu schmerzender Hitze heranwuchs. So nah am Feuer hielt sie dem Mantel stand, wollte, musste es ertragen, um den kalten Tümpel zurückzudrängen, der ihr hierher gefolgt war gleich der Lehre ihres Vaters, dem sein eigen Leben wichtiger gewesen wäre als das seines Blutes, geschweige denn dem einer Fremden. Noch immer hatte sie mit allem, was sie über ihn wusste, diese Sinnesirrung nicht verstanden, da doch die Furcht ihn nicht getrieben hatte. Die Flammen erduldet erwachte sie schließlich aus fernen Gedanken, hatte ihre Grenzen erprobt und wich zurück, ehe sie sich daran verbrannte. Doch anstatt ihrer Erschöpfung nun nachzugeben und zu ruhen, war Eru bald schon damit beschäftigt ihre noch kalten Beine und Füße von Schmutz und Nässe zu befreien. Und auch nach dem Waschen galt es zu speisen und sich wieder zu wappnen für die lange Reise, die noch immer vor ihr stand.
Zögerlich näherte sich indess die Centaurin ihrer Stätte. Von imposanter Gestalt war sie, größer nun, da sie nicht länger in tiefen Wassern stand, und ihrem Haar und auch dem Blick gleich schwarz zeigten sich nun auch ihre Füße, die wie die eigenen den Schlamm noch trugen. Auf ihren Wanderungen zum Wintereinbruch musste sie sein, welch Geister sie wohl in diesen Tümpel trieben?
Norn sprach sie, als sie darum bat sich zu ihr zu gesellen, und erhielt zur Antwort nur ein Nicken samt stummer Geste, die ihr eine Stelle am Feuer darbot. Ebenso erschöpft war auch ihr danach im Warmen zu ruhen, doch hatte sie sich wohl weniger um Nässe und kalte Winde, als um den Schlag des Alten zu sorgen. Für Eru war es bereits erstaunlich, dass sie dem standgehalten hatte, war sie selbst doch bereits am anderen Ende der Lanze beinahe von den Füßen geworfen worden. Das reisend Volk.. - Als hätte sie bis eben geschlummert, regte sich mit dieser Erkenntnis die Neugier: ‹Hast du Alben gesehen? Ljosalfar, das lichte Volk auf deinen Wegen? Von ihnen gehört? Zwanzig an der Zahl, vielleicht schon weniger.. - Kamt ihr vom Osten?› - Die ihren, ob sie wohl mit ihrer Sippe angereist war? Sie wusste nichts über ihren Gast, nicht ob sie allein unterwegs oder noch Teil ihrer Gruppe war. Nicht, was sie in diesen Kessel trieb, in dem die kalten Wasser nach ihr griffen. Und doch verspürte sie keine Trauer bei dem Gedanken, dass die Steppentochter alleine unterwegs sein könnte, war sie doch größer, stärker als Gwynns Kinder es je werden könnten. Wohin sie auch ginge, sie würde sich durchzuschlagen wissen.
Gedankenverloren blickten die beiden so unterschiedlichen Gestalten in die tanzenden Flammen. Izar hätte gerne einige Worte mit der Frau gewechselt, doch sie hielt ihre Neugier im Zaum. Stattdessen begann sie mit tastenden Fingern über ihren Brustkorb zu fahren. Schmerzlich verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse. Gebrochen schien Nichts, doch eindeutig würden die Prellungen noch lange zu spüren sein. Sie meinte die blauen und violetten Flecken bereits jetzt zu erkennen…
Als plötzlich eine Stimme erklang, zuckte Izar zusammen. Sie war so in ihren Gedanken vertieft gewesen, dass sie ihre Gastgeberin beinahe vergessen hätte. Einen Moment überlegte die junge Centaurin und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. ‹„Nein, Alben bin ich keinen begegnet. Nur die Herden auf ihren Wanderungen haben unsere Wege gekreuzt oder uns geleitet.“› Sie verstummte, doch als plötzlich eine verblasste Erinnerung aufblitzte, hob sie den Blick. ‹„Wir haben Spuren gesehen. Sie waren nicht mehr sehr deutlich, müssen bereits einige Tage alt gewesen sein. Wie viele es waren, ist schwerlich zu beantworten, aber mehr als zwanzig waren es kaum. Da wir aber auf Mammutjagd sind, haben wir ihnen keine weitere Beachtung geschenkt.“›
Izar fühlte sich plötzlich schuldig, dass sie der Frau nicht mehr erzählen konnte. Offensichtlich waren ihr diese Ljosalfar wichtig, denn ihre Augen hatten aufgeleuchtet und die Spannung war in ihren müden Körper zurückgekehrt. ‹„Vom Nordosten führte unsere Reise die Jäger hierher.“› Izar verstummte und dachte an ihre Gefährten zurück. Innerlich wusste sie, dass sie nicht zu ihr zurückkehren würden, denn die junge Centaurin hatte eine Aufgabe inne, bei der ihr Volk ihr nicht helfen konnte. Sie war auf sich alleine gestellt auf der Suche nach der Gedenkstätte und ihrem wahren Ich. ‹„Wer kennt schon sein wahres Ich“›, murmelte Izar bedrückt.
‹„Woher kommst du und wohin führt dich dein Weg?“›, wandte sich die Centaurin dann an die Wilde und stellte mit warmer Stimme vorsichtig ihre Fragen, als ob sich die Gestalt neben ihr in Luft auflösen würde, wenn sie die Stille durchbrach. Der Sumpf verschluckte alle Geräusche von Aussen und auch das Summen der Insekten klang wie das Spielen eines mythischen Instruments. Izar verlor sich in den Klängen und schloss verträumt ihre Augen. ‹"Ich wollte immer die Welt sehen, mehr als nur die weiten Steppen meiner Heimat. Und jetzt, wo ich vor dieser Aufgabe stehe, würde ich mich am liebsten in den Schoss meiner Grossmutter kuscheln"›, die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie darüber nachdenken konnte. Doch der Sumpf ermüdete sie und ihre Gedanken schienen sich zu verlangsamen, beinahe zum Stillstand zu kommen. Träge glitt ihr Blick über die Landschaft, die sie umgab. ‹"Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal Heimweh verspüren könnt."›
Offenbar erschrak die Steppentochter, als Eru von Neugier ergriffen die Stille brach. Doch ward diese schnell gezügelt, nichts weiter, Spuren kürzlich vorbeigezogener Nomaden würden wohl kaum zu den seit Jahren Vertriebenen gehören. Ob sie wohl noch durch die Welt irrten oder sich bereits irgendwo niedergelassen hatten? Unfreiwillig erinnerte sie sich ihrer Gesichter, Namen und Stimmen derer, die sie nie traf, die wiederum von ihr nicht einmal wussten. Ob einige bereits ruhten und sie selbst auch nicht mehr zu Gesicht bekämen? Vom Nordosten - So klang es, als seien die Centauren bereits auf ihrer langen Reise 'gen Süden, und auch als sei ihr Gast, so wie sie es eben war, im Geiste bei den ihren. Doch dann verlor sie sich, sprach offenbar nicht länger zu Eru, sondern gab preis, was ihr Wesen plagte, doch wenig nur konnte Eru sich hierauf zusammenreimen. Ob sie in Streit geraten war, Reue litt für gesprochen Wort?
Zaghaft fand sie zurück zu ihr, wollte um die Herkunft Erus wissen. ‹Ich bin eines von Gwynns Kindern, aus dem hohen Walde am Gletscherstrom im Norden. Hoch, da die Steppen sich darum verneigen und einzig steile Pfade von ihm weisen. Mächtig stehen darin die Nadelväter und blicken Reih an Reih im immergrünen Kleid auf uns herab. So groß schlagen ihre Wurzeln in den finsteren Tiefen, dass wir unsere Häuser darin einrichten.› - Die zwei Häuser fern des Waldes hatten sie verloren, so lag die Bürde sie zu versorgen schwer, und doch war es ihm bislang gelungen sie zu erhalten.
·Mein Weg..·, entsinnte sie sich der ganzen Frage. Spuren zu folgen würde sie wohl kaum zum Ziel führen, da doch so viele Jahre zwischen ihrem Aufbruch und dem der Exilanten lagen. Und so musste sie wohl die Völker in ihrer Nachbarschaft befragen und ihre Spuren in den Erinnerungen Fremder suchen. ‹Zu Brüdern und Schwestern führt mich mein Weg. Vor Jahren verließen einige von ihnen unseren Wald, und so gehe ich, wo immer man sich ihrer erinnert.› Wie alt ihr Gegenüber wohl war? Vermeintlich zu jung, um von einer alten Begegnung zu wissen, und doch ausgewachsen, der Jugend erwacht. Vielleicht wüssten ältere ihrer Sippe eher von den Wanderungen der Exilanten. Wenig nur wusste Eru wiederum von den Töchtern der Steppe - Ein kurzlebigeres Volk kriegerischer Schwestern, die zu dieser Zeit zu den Winterweiden der alten Wanderer und großen Herden ziehen sollten. Vermutlich gut war zudem, dass sie kein Mann war, da ihnen diese wenig galten.
‹Und wohin führt dein Weg?› Die Jäger hatten sie zu den Mammuts gebracht, und so fand sie wohl zum alten Wanderer. Doch von sich erzählte die Steppentochter erneut, von ihrem Wunsch fern der Pfade ihrer Sippe zu reisen. Hatte sie sich von ihnen bereits getrennt? War sie entflohen? Vertrieben? Gefährlich? Wenig nur hatte sie von den ihren offenbart - War sie ihnen kaum verbunden, misstraute sie Eru, oder waren es eigene Nöte, die ihren Geist so vereinnahmten? Doch auch von ihrer Großmutter sprach sie, und so fand auch Eru sich in dieser Sehnsucht wieder, die sie doch selbst mit des Mutters Vater so viel Zeit verbracht'.
Erschöpft schien ihr Gast, noch mitgenommen vom Kampfe, ‹Plagen die Geister der alten Wanderer dich noch immer? Vielleicht lassen sie auf den hohen Hügeln von dir ab, dort wo die Sonne bereits das Land erwärmt.›. Ob sie sich doch schwerer verletzt als es den Anschein hatte? ‹Mit den Alten eurer Sippe würde ich gerne sprechen, sie nach meinen Geschwistern fragen. Doch da du mit den Jägern kamst und sie sich bereits auf Wanderung befinden, scheint mir sie aufzusuchen ein hoffnungsloses Unterfangen, zumal deine Sippe auf ihren Hufen doch so viel schneller weiterzieht.› Wenn es möglich sei und der Steppentochter danach war, würde Eru mit den Alten sprechen können. Doch sonst waren sie wohl zurückgelassen, müsste Eru andere Sippen suchen.
Bäume, so mächtig wie Riesen. Izar lauschte ihren Worten voller Neugier. Doch als sie vernahm, dass diese Menschen in Behausungen zwischen Wurzeln oder gar im Erdreich lebten, schauderte sie. Allein der Gedanke, nicht das weite Sternenzelt über sich zu wissen, behagte ihr nicht. Um keinen Preis würde sie das Goldgelb der Steppen gegen das Immergrün dieses mythischen Waldes eintauschen. Izar fühlte sich sicher, wenn sie jeder Zeit auf die Schnelligkeit ihrer Beine vertrauen konnte. Eingesperrt zwischen Bäumen zu leben erschien ihr als Graus. Trotzdem erkannte sie die Sehnsucht in der Stimme der jungen Frau, doch auch Traurigkeit und Sorge. Ihre nächsten Worte verrieten, worin ihre Gefühle gründeten. Auch sie war auf der Suche und Izar verspürte wieder das zarte Band einer möglichen Bindung. In gewisser Weise wollten sie doch dasselbe. Beide versuchten sie einen Teil ihres Selbst zu finden.
Da Izar nicht wusste, wie viel sie der anderen erzählen sollte, zögerte sie einen Moment. Schliesslich entschied sie sich für die Wahrheit, da auch die Wilde sich offen gezeigt hatte. ‹„Mein Weg sollte mich zu einem heiligen Steinkreis führen, den mein Volk bereits seit unzähligen Wintern besucht, um dort mit unseren Ahnen und den weisen Geistern in Kontakt zu treten. Meine Grossmutter befand, ich solle den Ort alleine aufsuchen, um auf diese Weise zu lernen.“› Was genau sie lernen sollte und dass vor Allem die Rabenhexen eine grosse Symbolik in diesem Ort sahen, verschwieg sie jedoch. Noch immer war ihr das dritte Auge unangenehm und unwillkürlich fuhr ihre Hand zur Stirn, um den Sitz des Stirnbandes zu kontrollieren. ‹„So bin ich mit den Jägerinnen und Jägern aufgebrochen, doch nun scheinen sich unsere Wege getrennt zu haben, wie meine Grossmutter es vorhergesehen hat.“› Ihr Blick glitt sehnsüchtig in die Richtung, wo sie ihre Gefährten vermutete.
‹„Mich plagen keine Geister“›, Izars Stimme hatte sich plötzlich verändert und ihre Worte klangen beinahe schroff. Sie wollte nicht von einer Fremden durchschaut werden. Dass die Geister sie sehr wohl verfolgten in ihren Träumen und Ahnungen beunruhigte sie bereits genug. Sie wollte weder Mitleid noch gut gemeinte Ratschläge hören. Es reichte aus, dass ihre Grossmutter sie auf diese Reise geschickt hatte, weg von ihrem Volk, auch wenn Izar bezweifelte, dass sie ihre Gabe jemals würde akzeptieren geschweige denn lieben können. Dabei war dies laut ihrer Grossmutter erst der Anfang. Ihr Stirnband verhinderte erfolgreich, dass sie in die Welt der Geisterwesen einzutauchen vermochte. ‹„Du bist blind, mein Kind“›, hatte die alte Centaurin oft zu ihr gesagt mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen, als wüsste sie um die Wunder, welche Izar dadurch entgehen mochten.
Obwohl Izar nur allzu gerne zu ihrem Stamm zurückgekehrt wäre, musste sie die junge Frau enttäuschen. ‹„Ich kann mich nicht mit dir zu meiner Sippe umwenden. Man würde mich verachten oder gar verstossen, wenn ich nicht meinen Weg fortsetzen würde. Ich würde feige genannt und nichts mehr gelten unter meinesgleichen.“› Sie erkannte die unterdrückte Enttäuschung in den Augen der anderen und es schmerzte sie innerlich, doch sie blieb standhaft. ‹„Ich lade dich gerne ein, mit mir weiterzureisen. Auch in dieser Richtung wird es weise Frauen... und Männer geben, welche bereits viele Jahre ihres Lebens unter uns weilen und womöglich Antworten zu geben vermögen.“› Sie blickte die junge Frau, die sich eine Tochter Gwynns nannte, aufmerksam an. Izar unterdrückte ihr eigenes Gewissen, das sie mit tadelndem Blick zu durchdringen versuchte. Denn insgeheim wollte sie sich darüber freuen, nicht alleine ihren Weg fortsetzen zu müssen.
So aufmerksam, wie die Centaurin Erus Geschichte vernahm, lauschte auch die Albin deren Worten. Vom steinernen Ring ihrer Ahnen erzählte sie, und verriet, dass auch ihre Sippe sich im Schutze ihrer Geister wiederfand. Von den Jägerinnen sprach sie und ihrer Aufgabe, war also nicht verstoßen, sondern in ihrer Willen hier eine heilige Pilgerreise anzutreten. Zu lernen ausgezogen. Ob das zu lernende für sie oder die ihren war? Ob es sich so unterscheiden ließe? Ob der eigenen Aufgabe war Eru sich sicher Recht zu tun im Sinne ihres Stammes, wusste aber auch um jene, gegen die sie sich damit durchsetzte. Jene, die bereits die Not sahen ihrem Walde mehr Nahrung abzugewinnen. Doch galt es nun altes Unrecht wiedergutzumachen.
Keine Geister waren ihr aus dem dunklen Sumpfe gefolgt, sicher klang die Abweisung, und so traute Eru ihrem Wort, schien die Centaurin doch eine Geisterkundige unter den ihren zu sein.
Zurück könne sie so wenig wie Eru, aufgebrochen eine Pflicht zu erfüllen, und so lud die Steppentochter sie stattdessen ein mit ihr weiterzuziehen. ‹Da wir das gleiche Los teilen, hat das Schicksal uns geeint: Auch ich vermag nicht heimzukehren, ehe ich nicht über den Verbleib meiner Geschwister gelernt.›·..zurückbringen, worum man mich beraubt.·‹Gerne geleite ich dich zu eurer Ahnen Ring. Auch mir wird es gut tun, wieder gemeinsam zu speisen, zu reisen, bin ich die lange Einsamkeit doch ebensowenig gewohnt und zehre zu lange schon von Erinnerungen und Träumen an die meinen. Erwachsen wir auch nicht so hoch wie ihr Steppentöchter, bin ich gewillt dir keine Bürde zu sein, dich nicht aufzuhalten auf deinem Weg, um dort am Ringe deines Volkes zu erfragen, wohin der Wind meine Geschwister trieb.› So ward ihr ein Weg eröffnet Geister zu befragen, von ihrer uralten Weisheit zu erfahren. Achtsam musste sie sein, sie nicht zu vergrämen mit unüberlegter Tat und began mit deren Schützling, ihrer neuen Weggefährtin, indem sie sich ihr vorstellte. Erfreut über diese neue Entwicklung erhob sie sich nun vom Platz und legte eine Faust über die Brust: ‹Eru ist der Name, den ich mir einst gab, in Andacht an einen Ahnen, der um seinen Weg wusste und ihn stets vor sich fand.›
Schuhwerk und Habe lagen noch am Feuer, das aus dem alten Schädel spie, und mit Blick auf die letzten Nahrungsreste erkundigte sie sich über den Beginn ihrer gemeinsamen Reise: ‹Hast du bereits gespeist? - Es drängt mich heimzukehren, mich mit den meinen wieder vereint zu wissen. So will ich bald aufbrechen, den Schutz des Tümpels verlassen und noch im Lichte des Morgens weiterziehen.›
‹Ich habe alle Zeit der Welt. Umwege sind mir lieb, sie erweitern die Ortskenntnisse. Und ich habe wahrlich noch viel zu lernen.› Izar freute sich über die Zusage ihrer neuen Begleiterin. Gemeinsam würden sie womöglich nicht so rasch vorankommen, wie es alleine der Fall wäre, doch das war der Centaurin nur recht. Sie hatte es nicht eilig, mit ihren Ahnen Kontakt aufzunehmen. Im Gegensatz zu Eru wäre sie ihnen lieber ferngeblieben, denn es behagte ihr nicht, Geister zu sehen. Mochte sie auch noch die Voraussetzungen zur Rabenhexerin in sich tragen, sie hatte einen anderen Plan für ihre Zukunft, als ihre Grossmutter ihn vorhersagte.
‹Mich nennen sie Izar. Meine Mutter mochte die Sterne, weshalb sie mir diesen Namen in der klaren Nacht meiner Geburt gab.› Nachdenklich blickte die Centaurin in den Himmel. Wie würde sie sich selbst nennen, hätte sie die Wahl? ‹Deine Ahnen scheinen Dir sehr wichtig zu sein. Wir werden also nicht mehr länger zögern›, mit einem Ächzen erhob sich Izar und presste die Hand an ihre Seite. ‹Lass uns aufbrechen, Eru, Gwynns Tochter›, sie hatte sich ihre Habseligkeiten bereits umgelegt, blieb dann jedoch zögerlich stehen. ‹Ich lasse Dir gerne den Vortritt. Mit meinem Glück werde ich die Hufe wiederum falsch setzen, und ob uns der alte Riese dann noch einmal zu Hilfe eilt, wage ich zu bezweifeln.› So folgte sie der Zweibeinerin durch den Sumpf, ohne dass ihre Beine weiter als bis zu den Knien im dunklen Wasser versanken.
Gerade als sie die gefährlichen Passagen durchschritten hatten, blieb Izar in einer Kuhle stecken, verlor kurz den Halt und stolperte. Dabei verrutsche ihr Stirnband. Schnell schob sie es zurecht, doch den Anblick des Mammuts, das zuvor schon einmal in ihrem Traum mit ihr gesprochen hatte, konnte sie nicht mehr verhindern. Sie wandte sich hastig ab, und schloss zügig zu Eru auf. ‹Lass uns von hier verschwinden, der Ort behagt mir nicht.›
Abermals wollte sie die Wunde ihrer Begleitern nicht ansprechen, auch da sie fürchtete den Stolz der Steppentochter derart zu kränken. ‹Izar Sterngeboren,›, wiederholte sie stattdessen ihren Namen, ‹sogleich können wir aufbrechen.›. Schnell warf sie die Reste ihrer Speisen in den Beutel, nahm Blätter und Glut für die Feuerdose, und das Schuhwerk für den nicht ganz so trockenen Aufstieg nochmal in die Hand.
Voran schritt die Albin und sah auch ihre eigenen Füße noch im Morrast zwischen rottendem Geäst und darum wuchernden Pilzen einsinken, vorbei am Gestrüpp bahnte sie sich ihren Weg aus dem nasskalten Kessel. Und bald schon fanden sie sich an der Schwelle jener Gruben, wo mit der fernen Sonne ihnen auch der kalte Atem der weiten Tundra entgegenschlug. Still began hier der weite Weg in Richtung ferner Hügel weit im Westen, als sich abermals ihre Beine sträubten. Doch diesmal war sie nicht länger alleine auf ihrem Weg, und so lächelte sie ob ihrer neuen Gefährtin der Weite entgegen, und schritt tapfer wie zielbewusst voran, sollte im Laufe des Vormittags jedoch immer mehr Mühe damit haben sich gegen ihren ermüdenden Körper zu behaupten.
Bald schon nach ihrem Aufbruch wurde das Land steiniger, grauer und ließ hin und wieder einen Blick auf Hasen und Füchse erhaschen. Weiter bergauf führte ihre Reise, fort von dem nassen Grab zu hohen Hügelketten, auf denen sich die Felsen brachen. Von hier konnte man das kommende Land gut überblicken, sah einige lose Baumgruppen und in der Ferne auch noch große Herden wandern, die großen Hirsche vornehmlich, die im stolzen Schritt ihr Geweih zur Schau trugen, doch einige kräftige Rinder im Beisein ihrer Kälber, und unter all den Giganten kleinere Wildpferde, scheu wie spielerisch in kleinen Gruppen umherspringend. Eine Weile gingen sie ihnen entgegen, fort von der Sonne Richtung Westen, da hörten sie unter den heulenden Winden auch die Wölfe, deren Rudel ihrer Beute in den Süden folgten. Doch sollten sie auch am kommenden Abend unter großem Feuer keine Bedrohung sein, und weniger noch, da die Steppentochter nun mit ihr weilte. Doch sahen sie auch in der Ferne Rauch, hinter Bäumen und hohen Gräsern und jenseits dem Pfad der großen Herden. Ein fremdes Jägerlager musste es sein, so nah an den Tieren, doch zu weit ab in den noch vor ihnen liegenden Tälern, um Art oder Anzahl der Jäger auszumachen.
Von einigen großen Felsen her, die zusammen einen Kranz um eine Hügelkrone bildeten, wehten ihnen einige gewobene Stoffbänder entgegen, die von aufeinandergetürmten Steinen an ihrer Stelle gehalten längst Zeichen der Witterung trugen. Gar jämmerlich jaulte der Wind von dem Gebilde, das in dieser Wildnis das einzige Kulturwerk schien. Doch versprach bereits auf halber Höhe des Hügels ein Überhang Schutz vor den drohenden Regenwolken, die inzwischen über den Himmel zogen. Gelegen kam der müden Albin dieser Umstand, hatte sie sich bislang bemüht ihre Erschöpfung nicht preiszugeben, ‹Lass uns hier lagern, ehe das Wetter ganz umschlägt.›. Wenig Zeit ließ sie der Centaurin hierauf zu reagieren, da sie ihre Güter bereits ablegte und sich darauf machte Gestrüpp für ein wärmendes Feuer zusammenzusuchen. Die Ruhe würde ihr gut tun, vielleicht ein kurzer Schlaf, ehe die Reise zum Nachmittag unter besserem Wetter weitergehen sollte.
Mit einem kaum unterdrückten Seufzen liess Izar Bogen und Tasche zu Boden gleiten. Auch an ihr nagte die Erschöpfung, zusätzlich zu den quälenden Schmerzen ihres Körpers, allein verursacht durch den kräftigen Stoss des alten Riesen. Dennoch wollte sie ihrer Begleiterin in Nichts nachstehen und begann einige Steinbrocken kreisförmig zusammenzuschieben, damit das Feuer darin gebändigt bliebe. Obwohl ihr Volk oft im Stehen ruhte, um allzeit fluchtbereit zu bleiben, konnte Izar sich nicht länger auf den Beinen halten. Etwas ungelenk sank sie auf den harten Grund und beobachtete ihre Gefährtin dabei, wie sie das wärmende Feuer zu entzünden versuchte. Keine leichte Angelegenheit, denn der Wind zerrte wild an der kaum erwachten Flamme und Eru musste sie mit ihrem Körper vor dem raschen Erlöschen bewahren. Bald jedoch züngelte es hungrig nach den trockenen Zweigen, begann sie gierig zu verschlingen und daran zu wachsen. Izar war dankbar für die Gesellschaft. Denn der zugige Wind, den sie mehr als Freund, denn als Feind betrachtete, ging Hand in Hand einher mit aufbrausenden Gewitterwolken, die sich in den Himmel türmten. Ein lauter Donnerschall war zu vernehmen und liess die junge Centaurin unwillkürlich zusammenzucken. Sie fürchtete sich vor den Sturmgeistern, welche sich an ihrer Angst zu erfreuen schienen und sie mit grellen Blitzen und bedrohlichem Grollen in ein zitterndes Häufchen Elend zu verwandeln mochten. Verschwindet, lasst mich in Frieden!, hätte sie ihnen gerne entgegen gerufen, war sich aber ihrer Begleiterin nur allzu bewusst. Jedoch vermochte nicht einmal deren Ruhe ihre wachsende Nervosität zu besänftigen. Um sich abzulenken, begann Izar schliesslich behutsam ihre Seite abzutasten, verzog dabei hingegen das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. "Kennst du dich in der Heilkunde aus?", wandte sie sich an Eru. Nachdem sie ihrem Körper nun endlich die ersehnte Ruhepause gönnte, machten sich die unterdrückten Qualen doch bemerkbar. Auch wenn der Wind kühl war, hatte die Centaurin zu schwitzen begonnen und konnte die Hitze spüren, die sich unter ihrem rotbraunen Fell ausbreitete. “Ich denke, dass ich mich etwas vorausgabt habe”, gab sie zu bedenken und blickte Eru dabei entschuldigend an. Izar ärgerte sich darüber, dass sie dadurch das weitere Vorankommen weiter verzögern könnte. Und nicht nur das, auch die Sturmgeister waren weiter herangerückt und inzwischen klatschten die ersten Regentropfen auf den steinernen Grund. Beunruhigt blickte die Centaurin aus dem Unterschlupf hervor, der sie vor dem aufkommenden Unwetter schützen sollte.